Jenseits von Freiheit und Fromm

Behaviorismus und Menschenversuch
Eines der besten, wenn nicht das Paradebeispiel für die immer wieder ambivalente Rolle der Psychologie in Bezug auf das zu untersuchende Objekt Mensch bietet zweifelsohne die Schule des Behaviorismus - es ist nicht zuletzt der Diskurs genau dieser Wissenschaftsdisziplin, der eines der Fundamente verschwörungstheoretischer Erwartungshaltungen in der Moderne bildet. Erwartungshaltungen, wonach der Mensch als souveräner Herr seiner Handlungen umgangen und durch an seiner Bewusstseinsschwelle vorbeiagierende Stimuli beeinflusst werden kann.

Zum epistemischen Grundverständnis einer solch gearteten Psychologie schreibt Marcus Krause in "Menschenversuche - Eine Anthologie 1750-2000", es unterliege dem "Phantasma der Kontrolle", dessen Wurzeln er im französischen Materialismus des 18.Jahrhunderts verortet. Konkret geht es um die Vorstellung, dass der Mensch samt psychischem Innenleben als maschinengleicher Mechanismus verstanden werden kann und somit hauptsächlich bis gänzlich physikalischen Einflüssen unterliegt. Womit sich geradezu die Idee aufdrängt, statt erzieherischer Massnahmen an ebenjenen physikalischen Hebeln anzusetzen.

Als einen nächsten Schritt sieht Krause den Mesmerismus des Wiener Arztes Franz Anton Mesmer, einer auf der klassischen Mechanik Newtons aufbauenden, prä-psychoanalytischen und schamanistischen Beeinflussung der Patienten mittels eines durch Mesmer postulierten "Fluidums". Für Krause bereits eine in die Gräuel moderner Menschenversuche, wie später als MK-Ultra und ähnlich gelagerte Mind-Control-Versuche (in Ermangelung eines geeigneten Begriffs verwendet der Autor diesen für mit psychologischen Methoden verbundene Menschenversuche) praktiziert, deutende Versuchsanordnung. Manipulation und Selbstinszenierung stellen sich vor Therapie und Erkenntnisgewinn.



Neue Quantitäten und Qualitäten werden mit Luigi Galvanis Froschschenkel-Experiment respektive mit Entdeckung der Einsetzbarkeit von Elektrizität erreicht. Nicht mehr mittels eines magisch-auratischen Heilers, sondern mittels wissenschaftlicher Apparaturen wird das Objekt Mensch manipuliert. Guillaume Benjamin Amand Duchenne jagt Strom bis in die letzten Muskeln, vorrangig in jene des Gesichts, und schafft einen fotografischen Katalog der unwillentlichen Ansteuerbarkeit menschlicher Gefühle.
Nebenbei bleibt das Konzept des Magnetismus Mesmer'scher Ausprägung aufrecht, naturwissenschaftliches Erkenntnis vermengt sich mit Grenzwissenschaftlichem, Jean-Martin Charcot entdeckt als eine Art Synthese dieser beiden Wissenszugänge die Hypnose.
Zur gleichen Zeit erforscht die Wissenschaft jede Menge unsichtbare und Effekte habende Strahlen (in etwa Radiowellen oder Röntgenstrahlung) - für Krause eine entscheidende Epoche im Hinblick auf die Herausbildung einer paranoiden Grundeinstellung, wonach der Mensch durch mechanische-manipulative bis suggestive Techniken zu jeder nur denkbaren Handlung gebracht werden könne.

Und neben durch die aufkeimende Kinokultur geisternden Hypnoseschurken nimmt auch die Angst der Gesellschaft zu, die durch die zunehmende und alles verändernde technische und soziale Beschleunigung entfachte Bedrohung der persönlichen Identität könnte auf das Konto einer massenhypnotisch agierenden, kriminell-konspirativen Wissenschaftlerzunft gehen.
Diese Ängste waren in Anbetracht des Gebarens der Wissenschaft (vor allem der Psychiatrie) und der mangelnden Trennung zwischen Therapie und Experiment nicht zwangsläufig irrationaler Natur. Der Mensch war unbekannten Kräften ausgeliefert, nicht zuletzt auch in der genauso wenig zwischen Therapie und Experiment trennenden Psychoanalyse Sigmund Freuds, die noch dazu die Komponente des Ausgeliefertseins an das eigene Unterbewusstsein schmerzhaft offenlegte.

Womit wir beim endlich beim Behaviorismus angekommen wären, jener von John B. Watson gegründeten Wissenschaftsdisziplin, die wohl am radikalsten die Autonomie und Souveränität der persönlichen Entscheidungsfreiheit in Frage stellt. Unter Ausschluss des psychischen Innenlebens, für Watson war Introspektion wissenschaftlich nicht objektivierbar, sieht sie den Menschen als mehr oder weniger primitive Reiz-Reaktionsmaschine, in Anlehnung an Pawlows Klassischer Konditionierung als mechanistisch-determinierten Befehlsempfänger. "Vorhersage und Kontrolle des Verhaltens", so lautete Watsons proklamiertes Ziel.

Der wohl bekanntetse und berüchtigste Vertreter der behavioristischen Schule war Burrhus Frederic Skinner, Begründer des Radikalen Behaviorismus. Er erweiterte das Reiz-Reaktions-Schema der Klassischen Kinditionierung um das Element der Konsequenz, und etabliert so die Operante Konditionierung, in der modernen Psychologie als instrumentelles Lernen geläufig. In Verbindung mit einer möglichst hohen Regelmäßigkeit erfährt das Verhalten durch positive respektive negative Verstärkung, Betsrafung oder Löschung entweder Aufbau oder Abbau - oder anders ausgedrückt: die Wahrscheinlichkiet eines bestimmten Verhaltens wird erhöht oder verringert. Zu Erforschung seiner Hypothese baute Skinner die berühmt-berüchtigte Skinnerbox, berüchtigt, weil bis heute die Mär umgeht, er hätte für seine Tochter Debbie eine eigene Skinnerbox gezimmert.
Skinner war auch Visonär einer streng verhaltenstheoretisch modifizierten Gesellschaft, wie er die Welt durch seinen Romans Futurum II wissen ließ. Einer durch "Behavioural Engineering" geglätteten Gesellschaft, in der die Freiheit des Menschen als durch positive Verhaltenskonsequenzen herbeigeführte Konditionierung verstanden wird. Wie bei so vielen, wenn nicht allen Gesellschaftsutopien stellt sich die Frage, wie sie denn den eigenen Freiheitsbegriff mit einer grundsätzlichen individuellen Freiheit vereinen kann, nämlich gar nicht - was Skinner in seinem zweiten Buch mit dem bezeichnenden Titel Jenseits von Freiheit und Würde auch deutlich klarstellt. Der Gedanke an einen protofaschistisch bis totalitär agierenden Staat liegt natürlich nahe.

Eine amüsant zum Grübeln anregende Geschichte weiß Manfred Spitzer, unser aller liebster Hirnforscher und Harald Lesch der Neurowissenschaften (oder sollte man lieber sagen, dass Lesch der Spitzer der Astrophysik ist?), in dem Sammelband Nervensachen zu erzählen.
Während seiner Jahre in Harvard hatte dieser sein Büro schräg gegenüber von Skinners Räumlichkeiten, und musste erkennen, dass der "vermeintlich gefühlskalte Beziehungstechniker, der Meister der Dressur von Tier und (vor allem) Mensch, der Frankenstein der Psychologen" in Wirklichkeit überaus warmherzig und freundlich und bar der ihm zugesagten negativen Charaktereigenschaften war. Weswegen Spitzer auch eine ihm von Skinner persönlich erzählte Begebenheit nicht anzweifelt: Während eines Meetings in Washington, bei dem auch Skinner anwesend war, soll Erich Fromm, was er scheinbar des öfteren tat, die Zusammenkunft als Bühne für Exkurse über seine Aversion gegen den Behaviorismus missbraucht haben. Skinner hingegen hatte, da in solchen Diskussionen so oder so jeder auf seinem verfestigten Standpunkt zu beharren pflegte, ein öffentliches Dagegenhalten aufgegeben. Zumindest aber der neben ihm sitzende General sollte eines Besseren belehrt werden. Skinner schob ihm einen Zettel zu, auf welchem stand: "Ich werde Erich jetzt operant konditionieren." Fromm hatte die Angewohnheit, während seiner Schimpftiraden mit der geballten Faust auf den Tisch zu hauen, und der ihn bis dahin ignorierende Skinner begann nun, Fromm nach jedem Faustschlag ein Lächeln zu schenken. Bald schon soll Fromms Hand dermaßen häufig auf dem Tisch gelandet sein, dass der entnervte Sitznachbar Skinner einen Antwortzettel zukommen ließ: "Können Sie das auch wieder rückgängig machen?".

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