Chemvogt und Kacheltrail

Jörg Kachelmann und Michael Vogt, Chemtrails
Aufregung unter den Chemtrails-Aktivisten: Nicht nur, dass Jörg Kachelmann eine meteorologische Polemik gegen ihr Verschwörungsszenario auf seinen YouTube-Kanal gestellt hat, fühlte er sich auch bemüßigt, mit einem Video nachzulegen, in dem er sage und schreibe achtzig Prozent von ihnen als Nazis bezeichnet.
Das ist natürlich ungeheuerlich bis billigst polemisch und entbehrt nicht einer gewissen Komik, wenn man sich nachfolgendes Gespräch zu Gemüte führt. Darin unterstreichen nämlich der notorische Michael Vogt und Brigitta Zuber ihren Verdacht, chemtrailgläubige Journalisten würden mit falschen Vergewaltigungsvorwürfen kaltgestellt, mit dem Beispiel Kachelmanns.



Ob Kachelmann von diesem Gespräch weiß, sei dahingestellt. Meteorologe zu sein, mag schon Antriebskraft genug sein, um sich mit dem Thema Chemtrails auseinanderzusetzen. In seiner ersten Erörterung gibt er sich jedenfalls vordergründig sachlich und moderat. Teilweise muss man ihm sogar recht geben, in etwa was die Vereinnahmung einzelner Wettermoderationsausschnitte anbelangt. Auf der anderen Seite wendet er beispielsweise den Trick aller Chemtrails-Verneiner an, wenn er ein recht harmlos wirkendes Himmelsszenario als klassisches Chemtrail-Beweisfoto anpreist.



Wie auch immer, Kachelmanns Debunking hat ihm offenbar "viele Morddrohungen" beschert, "das Volksgericht wird dich richten", ließ man ihn gar wissen. Aber den heldenhaften Wetterfrosch wundert das nicht, denn er weiß ja, dass Chemtrails die Erfindung einer Horde kreidefressender Nazis sind, die so ein paar wenige Esoteriker und Umweltaffine an ihre Seite zu bekommen hoffen.
Eine lächerliche Überspitzung, sicher. Doch zeigt gerade das Beispiel des Michael Vogt, dass sich tatsächlich Aktivisten aus dem äußeren rechten politischen Spektrum verstärkt verschwörungstheoretischer Themen annehmen. Dafür gibt es freilich viele Gründe, doch dazu ein andermal mehr ...

9/11-Sammelrezension: Klöckner, Wisnewski, Bröckers

9/11,Christian C. Walther, Gerhard Wisnewski, Marcus B. Klöckner, Mathias Bröckers
Wenn Historiker später einmal den Beginn des neuen Millenniums anhand eines markanten Ereignisses nachzeichnen werden, so wird ihre Wahl wohl mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auf das Datum des 11. Septembers 2001 fallen. Nicht nur, dass die Terrorattacken auf das New Yorker World Trade Center in geo- und sicherheitspolitischen Belangen zur Rechtfertigungsgrundlage für kriegerische Schachzüge und die Beschneidung der individuellen Freiheit des westlichen Staatsbürgers wurden. Der Einsturz der Zwillingstürme kennzeichnet auch den beginnenden Einsturz der, durch die Möglichkeiten des Internets ohnehin schon in Unruhe geratenen, herrschenden medialen Ordnung. Was, in einem Akt des Vertrauensverlusts und einer Art bürgerlicher Informationsrevolte gegen die Geschichtsschreibung der etablierten Institutionen, nicht zuletzt auch zu einer Proliferation verschwörungstheoretischer Theorienbildungen geführt hat.
9/11: Brandbeschleuniger bei der Verbreitung des Misstrauens gegen "die da oben", der globalen Verbreitung US-spezifischen Verschwörungsdenkens, des Informationskrieges.

Rechtzeitig zum zehnten Jahrestag von 9/11 erreicht uns eine Fülle an Dokumentationen und Buchveröffentlichungen. Vorliegende Sammelrezension behandelt drei Bücher, die, zusammen gelesen, einen sehr guten Überblick über die Hauptargumente der sogenannten 9/11-Skeptiker und den medialen Umgang damit bieten.

Marcus B. Klöckner hat mit "9/11 - Der Kampf um die Wahrheit" ein Stück Medienanalyse vorgelegt, das die markantesten Unterschiede zwischen etablierter und nichtetablierter Wahrheitsaneignung herausarbeitet. Dabei stößt er auf eine offensichtliche Schieflage, nicht nur in der Darstellung der Ereignisse, sondern auch in der Behandlung jener, die der offiziellen Version widersprechen.
Klöckner vermag mithilfe der Methode der Sequenzanalyse aufzuzeigen, mit welch semantisch untergriffigen und journalistisch unseriösen Methoden so manch ein 9/11-Skeptiker schon mundtot gemacht wurde. In einem ZEIT-Artikel werden die 9/11-Skeptiker sprachlich und argumentativ psychiatrisiert. Ein Spiegel-Redakteur konstruiert mit dem Ausdruck "die September-Lüge" und Begriffen wie "Unbelehrbare" Analogien zur Auschwitz-Lüge und zu Antisemitismus. Und dann ist da noch der legendäre, als Interview getarnte, Kampfeinsatz Sandra Maischbergers gegen Andreas von Bülow; gekennzeichnet durch einen aggressiven und unterbrechenden Fragestil, unterschwellige Beleidigungen und Unterstellungen, sowie die fast schon unvermeidliche Antisemitismus-Keule.
Diese drei untersuchten Beispiele deutet Klöckner nicht unbedingt nur als US-getreue Hofberichterstattung, sondern auch als Teil eines Kampfes um das journalistische Deutungsmonopol, das in Sachen 9/11 im deutschen Sprachraum im Jahr 2003 mit der Veröffentlichung einiger grundlegender Bücher ordentlich zu Bröckeln begonnen hatte.
Mit beteiligt daran auch die Autoren der anderen beiden hier behandelten Bücher. Klöckner stellt sie und andere vor, von Einzelprotagonisten wie Alex Jones oder Daniele Ganser bis zu Gruppen wie den "Architects & Engineers for 9/11 Truth" oder "We Are Change"; wobei der Autor bewusst auf eine allzu ausführliche Präsentation oder gar Bewertung der Richtigkeit der Argumente verzichtet.
Trotzdem das Buch den Eindruck einer gewissen Subjektivität, die sicherlich mit oben erwähnter Schieflage und der georteten Unterdrückung der Argumente der 9/11-Skeptiker zu erklären ist, vermittelt, übt Klöckner auch Kritik. Geht etwa auf das hermetisch abgeschlossene Weltbild der Truther-Bewegung ein, lässt nicht unerwähnt, dass deren Videoaufklärungsmaterial manipulativ arbeitet, woraus Klöckner aber keinen Vorwurf macht, denn im Gegensatz zu manch einem genauso manipulativen Beitrag der offiziellen Fernsehsender, stehen diese ja auch zu ihrer Subjektivität und verbergen ihre Agenda nicht hinter einer vermeintlichen journalistischen Objektivität. Dennoch stellt Klöckner berechtigterweise fest, dass solch simplifizierende Darstellungen einer kompletten, womöglich noch in ein historisch interpretiertes Korsett gezwängten, Verschwörung mitunter der eigenen Sache eher schaden als nutzen. Vor allem die naive und vorurteilsbelastete Vorstellung der Truther, es gäbe eine mehr oder minder totale Konspiration durch Journalisten und Medien, lässt wenig bis gar keinen Spielraum für einen konstruktiven Dialog. Allzu leicht können so unbequeme Wahrheiten unter Verschwörungsquarantäne gestellt werden. Klöckner widmet sich diesbezüglich auch in einem eigenen Kapitel dem zentralen Thema der Instrumentalisierung des Kampfbegriffs Verschwörungstheorie.

Mit diesen Kampfbegriff kaltgestellt, zumindest was seine Arbeit für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk anbelangt, wurde auch Gerhard Wisnewski. Gemeinsam mit Willy Brunner hatte dieser bekanntlich für den WDR "Aktenzeichen 11.9. ungelöst" produziert, eine der ersten kritischen Dokumentationen für einen großen Fernsehsender überhaupt. Was folgte, war eine Kampagne durch den Spiegel, die in einer Art Verstoß Wisnewskis aus dem offiziösen Journalistenverband endete.
Die Ergebnisse seiner 9/11-Recherchen wurden von Wisnewski als "Operation 9/11" in Buchform veröffentlicht, nun ist eine überarbeitete und aktualisierte Neuauflage erschienen.
Das Buch bietet eine gut zusammengetragene Vielzahl an Fakten und Überlegungen. Immer wieder tut Wisnewski, was andere, sogenannte etablierte, Autoren nicht tun: Er recherchiert. Vergleicht in etwa Flugzeugtypen, setzt sich mit Crashtests und Ausstattung (Stichwort: Bordtelefon) auseinander. Auf der anderen Seite ist Wisnewski jemand, der aus seinem investigativen Selbstverständnis heraus ( de facto ist er ein investigativer Journalist der klassischen Schule, wie man ihn bei den Großen des Mediengeschäfts heutzutage kaum noch findet) sehr schnell Zusammenhänge herstellt und mit Schlussfolgerungen zur Hand ist, auch wenn er diese oft nur in eine Fragestellung verpackt. Durch das Buch zieht sich, was man aus der restlichen journalistischen Arbeit des Autors kennt: Die gute Recherche und der Blick für die wichtigen Fragen werden durch den zu schnellen Glauben an eine Verschwörung entwertet. Womit er womöglich seinen Kritikern selbst die Waffen in die Hand legt.

Diesbezüglich alles richtig macht Mathias Bröckers, möchte man fast meinen. Gemeinsam mit Christian C. Walther hat auch er seine bisherigen Publikationen und Rechercheergebnisse neu überarbeitet und zusammengetragen. Für "11.9. - Zehn Jahre danach: Der Einsturz eines Lügengebäudes" haben sich die beiden dabei auch durch den Abschlussbericht der 9/11-Commission durchgearbeitet und sind dabei auf unzählige Schwächen und Widersprüchlichkeiten gestoßen. In 38 Kapiteln wird der Leser mit den diesbezüglich ungelösten Fragen und oft eklatant widersinnigen Fakten konfrontiert.
Die große Stärke des Buchs liegt darin, dass es weitestgehend auf Schuldzuweisungen verzichtet. Nur ab und an scheint durch die eine oder andere stark ironisierende Formulierung dann doch eine durchzublitzen, allerdings nie als konkretes Verschwörungsszenario, sondern höchstens als der Unglaube an die Unschuld einiger 9/11-Protagonisten.
Bröckers und Walthers klagen nicht an. Vielmehr fordern sie eine Neuuntersuchung, um die wahren Verantwortlichen endlich anklagen zu können; liefern mit ihrem Buch gar eine Art konkreten Leitfaden dafür. Sie machen klar, dass die bisherigen offiziellen Ermittlungsergebnisse nur auf einem Bruchteil der erforderlichen kriminalistischen Arbeit fußen und in einem halbwegs funktionierenden Rechtsstaat keine Verurteilung von wem auch immer rechtfertigen würden.
Gehörte, aber nicht berücksichtigte Zeugen, nepotistisch tendenziöse Gutachten, ein Untersuchungsleiter, dessen akademisches Gebiet das Festschreiben von Weltbildern in der öffentlichen Meinung ist - es hat den Anschein, als diene der Commission Report der Mythenbildung, nicht der Aufklärung. Die Autoren haken hier ein, füllen die Lücken der "offiziellen Verschwörungstheorie" mit spannenden, oft haarsträubenden Details, die selbst vorinformierte Leser oft noch in blankes Erstaunen versetzen mögen.
Den Leser erwartet ein realpolitischer Krimi, der die harten Fronten zwischen den Skeptikern auf beiden Seiten aufzubrechen in der Lage ist. Verfolgt man die mediale Rezeption des Buchs, so scheint dies auch zuzutreffen: Kein anderer 9/11-Autor durfte in den etablierten Medien sooft, und vor allem als Experte und ohne zynische Demontageversuche, Kritik an der offiziellen Darstellung von 9/11 üben, wie Bröckers.

Marcus B. Klöckner, 9/11 - Der Kampf um die Wahrheit; Heise/ Telepolis, 2011, ISBN
978-3-936931-71-6

Gerhard Wisnewski, Operation 9/11 - Der Wahrheit auf der Spur; Knaur, 2011, ISBN
978-3-426-78436-5

Mathias Bröckers und Christian C. Walther, 11.9. - Zehn Jahre danach: Der Einsturz eines Lügengebäudes; Westend, 2011, ISBN 978-3-938060-48-3